Postaufgabe und Zugang eines schriftlichen Verwaltungsakts

Der Fall

Die Sachgebietsleiterin beim Finanzamt unterzeichnete am 29.03.2018 (Gründonnerstag) eine Einspruchsentscheidung und übergab diese am selben Tag der internen Poststelle. Aufgrund der anstehenden Osterfeiertage datierte sie den Bescheid auf den ersten Werktag nach Ostern (03.04.2018) vor. Das exakte Absendedatum wurde nicht dokumentiert.

Die Einspruchsentscheidung erhielt beim Prozessbevollmächtigten des Klägers einen Kanzlei-Posteingangsstempel vom 10.04.2018. Zudem wurde der Eingang und Fristablauf digital erfasst. Die Klage ging am 11.05.2018, dem Christi Himmelfahrt nachfolgenden Werktag, beim Finanzgericht ein.

Das FG hielt die Klage für verfristet und unzulässig, da der Kläger keinen schlüssigen und substantiierten Sachverhalt vorgebracht habe, der es erlaube, von einer Bekanntgabe außerhalb der gesetzlichen Drei-Tages-Fiktion auszugehen.

BFH: Keine Beweislastumkehr zu Lasten des Steuerpflichtigen

Der BFH nahm eine fehlerhafte Anwendung von § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO an. Der Empfänger eines Verwaltungsakts hat das Vorbringen eines verspäteten Zugangs zu substantiieren. Kommt er seiner Substantiierungspflicht nach, ist die Behörde beweisbelastet. Die Der-Tages-Fiktion greift aber erst gar nicht, wenn das Datum der Postaufgabe nicht feststellbar ist. Die tatsächliche Aufgabe zur Post (Ebene des Finanzamts) und der Zugang beim Steuerpflichtigen (Ebene des Empfängers) sind zu trennen.

Selbst wenn sich der Postaufgabezeitpunkt bestätigen lässt, sind an die Substantiierung eines abweichend von § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO verspäteten Zugang keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Keinesfalls dürfen die Regeln der objektiven Beweislast, die nach dem Gesetz das FA trifft, zu Lasten des Steuerpflichtigen verkehrt werden. Rückschlüsse auf den tatsächlichen Zugang ergeben sich aus dem Kanzlei-Eingangsstempel, elektronischer Akte und Fristenkontrollbuch.

Praxishinweis

Der Beschluss des X. Senats verdeutlicht die Darlegungs- und Beweislast im Rahmen der Bekanntgabe von Verwaltungsakten nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO. Die Drei-Tages-Fiktion greift immer – und nur – dann, wenn der tatsächliche Aufgabezeitpunkt feststeht. Das Finanzamt hat hierüber den Beweis zu führen. Ist hingegen bereits die tatsächliche Aufgabe des Bescheids zur Post nicht feststellbar, muss der Steuerpflichtige überhaupt nicht substantiiert vortragen. Die Fiktion greift nämlich schon gar nicht. Es gilt dann der tatsächliche Zugang, den die Behörde nachzuweisen hat.

Steht die Aufgabe zur Post fest, kann der Steuerpflichtige durch sein substantiiertes Bestreiten die Fiktion erschüttern. Dafür muss er Gründe darlegen, welche die (nicht nur theoretische) Möglichkeit zulassen, dass er den Verwaltungsakt erst später bekommen hat. Gelingt ihm dies, schlägt das Pendel der Darlegungs- und Beweislast zurück zur Finanzbehörde. Sie hat nunmehr den Zugangszeitpunkt nachzuweisen (§ 122 Abs. 2 Hs. 2 AO), ohne auf die Fiktion zurückgreifen zu können.

Etwaige Versäumnisse des Steuerpflichtigen bei der Substantiierung des Zugangszeitpunkts strahlen nicht auf die Frage der Aufgabe des Verwaltungsakts zur Post aus. Der BFH trennt hier strikt zwischen der Ebene der Finanzverwaltung und der des Steuerpflichtigen.

Die Frage des Umgangs mit seitens der Behörde vordatierten Bescheiden steht im Kontext der Entscheidung; insbesondere dann, wenn ein vordatierter Bescheid vor dem Datum, welches der Verwaltungsakt trägt, beim Steuerpflichtigen ankommt. Um Risiken einer Verfristung zu umgehen, empfiehlt es sich, in diesen Fällen die kürzere Frist anhand des tatsächlichen Zugangs vorzumerken.

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Dr. Kolja van Lück
Rechtsanwalt
Juniorpartner

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